Deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag

Die Unterzeichner des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags vom 17. Juni 1991 waren vom Gedanken der Verständigung und Versöhnung zwischen unseren beiden Völkern geleitet. Sie hatten die Vision eines vereinten und freien Europas, dass durch Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bestimmt wird. Sie setzten auf ein wachsendes Vertrauen zwischen Polen und Deutschen sowohl im privaten als auch im politischen Bereich.

Für die Polinnen und Polen, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Rechtlosigkeit der deutschen Besatzungszeit durchlitten, haben und für die Deutschen, die das darauffolgende Unrecht der Vertreibung ertragen mussten, war es schwer „die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen“. Es gab zu viele offene Wunden.

Wunden können nur heilen, wenn die erlebte furchtbare Geschichte durch neue gute Erfahrungen und neue Geschichten des Miteinanders zwischen Polen und Deutschen allmählich in den Hintergrund treten kann.  Aus dieser Position  heraus mahnt sie uns als Menschen des 21. Jahrhunderts, nie wieder Hass und Feindschaft zwischen unseren Völkern zuzulassen.

Der Kulturaustausch zwischen Polen und Deutschen, die vielfältigen Begegnungen zwischen polnischen und deutschen Jugendlichen, die das deutsch-polnische Jugendwerk ermöglicht hat, haben zur „Stärkung des Vertrauens zwischen beiden Ländern“ beigetragen. Aus meiner persönlichen Erfahrung hatten diese Begegnungen einen ganz besonderen Charakter, der sie von denen mit westeuropäischen Ländern positiv abhob. Die Rückmeldungen deutscher Schülerinnen und Schüler waren von einer nachhaltigen Begeisterung für Polen und seine Menschen getragen.

Jedes Land hat das Recht sein „Schicksal frei und ohne äußere Einmischung zu bestimmen“ (Zitat aus dem Nachbarschaftsvertrag). Der polnische Wunsch nach Souveränität, der nach den polnischen Teilungen erst 1918  für einundzwanzig Jahre und dann erst wieder 1990 verwirklicht wurde,  macht Vorbehalte für die Übernahme von Bestimmungen durch die Europäische Union verständlich. Es ist auch nachvollziehbar, wenn polnische Politiker eine Bevormundung durch Deutschland befürchten. Dass diese Ängste so tief sitzen und auch von großen Teilen der Bevölkerung geteilt werden, macht betroffen. Es zeigt, dass Vertrauen nur mit der Zeit wachsen kann. Allerdings muss das Wachsen auch zugelassen werden. Das kann nur geschehen, wenn ein kleines wachsendes Pflänzchen auch gepflegt wird.

In den vielen privaten Begegnungen, die die Gesellschaft für deutsch-polnische Nachbarschaft – Sąsiedzi ermöglicht, kann wirkliche polnisch-deutsche Freundschaft erfahren werden. Über alles kann offen und frei gesprochen werden, wenn das Grundvertrauen zueinander vorhanden ist.

Der Nachbarschaftsvertrag war ein Anfang, dem viele gemeinsame politische, humanitäre, gesellschaftliche Projekte folgten. Er ist der Anfang eines Weges, der viele Ziele aber kein Ende haben darf.

Wilmar Thiemann

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