Corona-Krise als Chance – Ein Kommentar

Die Corona-Krise spitzt sich zu und wirft gewaltige Probleme auf: politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich, national und international. Aber sie birgt auch eine große Chance. Sie zeigt uns, wo die Herausforderungen der Zukunft liegen, welche neuen Wege wir gehen müssen. Diesen Fingerzeig der Geschichte sollten wir nutzen.

Seit dem 15. März 2020 hat Polen die Grenzen für Ausländer geschlossen. Polnische Berufspendler im Grenzgebiet können die Grenze zwar theoretisch überqueren, praktisch wird dies durch die bei jeder Rückkehr nötige 14-tägige Quarantäne unmöglich gemacht. Das macht es nahezu ausgeschlossen, einer regelmäßigen Arbeit im Nachbarland nachzugehen. Die Alternative, nämlich lange Zeit von der eigenen Wohnung, der Familie und dem sonstigen privaten Lebensumfeld getrennt zu sein, ist ebenfalls unvorstellbar. 

Die grenzüberschreitende Arbeit ist ein enormer Wirtschaftsfaktor sowohl für die polnische als auch für die deutsche Seite. Das, was Polinnen und Polen in Deutschland verdienen, bleibt nicht nur in Deutschland, sondern wird auch zu Hause ausgegeben, wird dort investiert und kurbelt die polnische Wirtschaft an. Andererseits ist die deutsche Wirtschaft auf die Mitarbeit polnischer Arbeitskräfte angewiesen. Auch Unternehmer und Freiberufler üben ihre Tätigkeit im eigenen wie im Nachbarland aus. Ebenso finden Händler ihre Kunden auf beiden Seiten der Grenze. Diese Beispiele zeigen, dass sich ein starker gemeinsamer Wirtschaftsraum entlang der Grenze etabliert hat.  

Weit über diese rein wirtschaftlichen Beziehungen hinaus haben sich zahlreiche weitere bedeutsame gesellschaftliche Verbindungen über die Grenze hinweg entwickelt. Polnische Bürger, die in Polen arbeiten, haben sich in Deutschland angesiedelt und umgekehrt. Schulen und Kitas betreuen Kinder aus beiden Ländern. Deutsch-polnische Familien leben als Europäer gemeinsam im Grenzgebiet.  Der aus wirtschaftlicher Entwicklungsperspektive so genannte deutsch-polnische Verflechtungsraum ist also deutlich stärker als nur ökonomisch miteinander verzahnt und nicht nur eine Zukunftsidee.

Diese vielfältigen, umfassenden und starken Verbindungen zeigen uns, dass Polen und Deutschland, Deutschland und Polen diese Region unabhängig von der Corona-Krise anders bewerten müssen. 

Hier müssen neue staatenübergreifende Wege beschritten werden. Die nationalstaatliche Grenze kann hier nicht mehr allein Maßstab des Handelns sein. Die stark verflochtene Region beiderseits der Grenze muss zwangsläufig als eigener Bereich betrachtet und an den bestehenden Realitäten ausgerichtet werden. Orientiert an dem Grad der Verflechtung, z.B. durch Berufspendler, Handelsbeziehungen oder soziale Aufgaben, und dem allfälligen Schaden bei einer radikalen Grenzschließung, muss diese Region einen Sonderstatus für die darin lebenden Menschen erhalten. In und für diesen Bereich müssen bedarfsgerechte Ausnahmen von nationalstaatlichen Regelungen greifen, die beiden Ländern helfen, die Region wirtschaftlich und gesellschaftlich zu entwickeln. Dies könnte zudem ein Modell für viele europäische Grenzregionen werden. 

 

Christian Schmidt / Renate Rode

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